Die Zentralmatura ist weiterhin im Gange und mein Nachhilfeschüler hält mich direkt von der Front auf dem Laufenden. Daumen drückend hocke ich in Graz und habe mich heute einmal zurückerinnert, wie es mir damals (und das ist schon verhältnismäßig lange her) während dieser ultimativen Prüfung, auf die man sich Zeit seiner Schulkarriere vorbereitet, ergangen ist.
Der Endgegner sozusagen – Voldemort und Sauron in einem.
Die Nemesis aller Schüler_innen.
Bei der Selbstreflexion verspürte ich plötzlich das Schaudern vor Nervosität und die leichte Euphorie, das angestreberte Wissen jetzt endlich wieder aus dem Kopf zu lassen und auf die Aufgabenstellungen zu hetzen.
Ich beschloss daraufhin, einen Ausflug in die Welt der Biologie zu machen und einmal wirklich herauszufinden, was in einer derartig intensiven Stresssituation wie der Matura eigentlich im Körper abgeht.
Zunächst kann man der Evolution einmal herzlich danken, dass sie sich überlegt hat, eine Reihe von Bewältigungsmechanismen zu entwickeln, die es uns erlauben, in „bedrohlichen“ Situationen schnell zu reagieren. Das ist nämlich der eigentliche Zweck von Stress – überleben. Diese Notfallreaktion ist dazu imstande, Kräfte zu mobilisieren, um in Auseinandersetzungen mit Gefahren handeln zu können.
Doch was passiert dabei genau? Keine Angst, ich gehe nicht allzu sehr ins Detail.
Treffen wir nun auf eine „Gefahr“, in unserem Fall die Reifeprüfung, versetzt unser Zentralnervensystem unseren Organismus in einen Zustand der intensivierten Alarm- und Handlungsbereitschaft. Die Informationsverarbeitung im Gehirn verändert sich, es werden besondere Hormone in unser Blut eingeschleust, insbesondere Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Das wirkt sich auf Muskulatur, Atmung und Kreislauf aus, wir sind schlagartig hellwach, angespannt und fühlen uns voller Energie.
Dies geschieht, weil der Teil unseres vegetativen Nervensystems, der sich auf Aktivität spezialisiert hat, sämtliche Ruhepole und Entspannungsoasen in unserem Gehirn kurzfristig außer Betrieb setzt. Die Folgen sind gesteigerte Leistungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und zusätzlich eine Beschränkung des Organismus auf unmittelbar lebensnotwendige Körperfunktionen.
Und hier landen wir beim widersprüchlichen Kern der Sache. „Höhere“ Hirnfunktionen werden in Stresssituationen nicht gebraucht und sind zum Teil komplett deaktiviert. Das haben wir unserer Evolution zu verdanken, die sich priorisiert auf das Nicht-Fressen-Lassen spezialisiert hat.
Auf das Mammut mit Gebrüll? Jederzeit.
Komplex integrieren oder einen krampfhaft verschlüsselten Textes unter Druck interpretieren? Eher suboptimal.
Das heißt also, unser Gehirn wird bei großen Prüfungen extrem strapaziert, soll anspruchsvolle geistige Abläufe gewährleisten, die eigentlich gegen die Biologie des Menschen sprechen.
Und trotzdem schaffen es die meisten, ihr Bewusstsein dahingehend zu überreden, nicht in den „Kämpf, lauf oder stirb“-Modus zu verfallen, sondern sich dieser (nicht lebensbedrohlichen, aber lebensqualitätbedrohenden) Challenge zu stellen und trotz dieser Hormonflut konzentriert zu denken. Hätte ich damals gewusst, wie souverän mein Organismus das eigentlich gemeistert hat, hätte ich noch mehr Freude mit der bestandenen Reifeprüfung gehabt.
Darum: Ich ziehe den Hut vor allen Maturant_innen 2017 – haltet durch, ihr habt es bald geschafft!
Eure Stephanie Gaberle, Nachhilfelehrerin für Englisch, Deutsch und Latein
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